Gegen Verschwörungsideologien

Seit einigen Jahren werden immer mehr sogenannte „Verschwörungstheorien“ verbreitet, was an der leichten Verfügbarkeit durch Facebook, Youtube und Google liegt. Deren Algorithmen verstärken das Abdriften in immer absurdere Parallelwelten auch noch, da sie die einzelnen Suchanfragen sowie thematischen Vorlieben der User aufgreifen und ähnliche Inhalte vorschlagen. Somit entsteht der subjektive Eindruck, dass solche Videos und Texte einen realen Bezug hätten, zumal sie auch noch häufig konkrete wechelseitige Verweise enthalten, um den Eindruck von Belegbarkeit und Quellenrecherche zu vermitteln. Ein eigener Kosmos entsteht; und wer ihn einmal betritt, das Gefühl von Geheimwissen und Überlegenheit dabei empfindet, wird letztlich auch süchtig danach. Denn es kann nur eine Wahrheit geben für Menschen, die sich im Verschwörungswahn verloren haben: entweder die als unbefriedigend wahrgenommenen Darstellungen der sogenannten „Mainstreammedien“ oder die aufregenden „Wahrheiten“ der Parallelwelt mit ihren zahlreichen alternativen Deutungen und angeblichen Mustern.

Dabei verschaffen die zahlreichen Aha-Effekte ganz simple biochemische Vorgänge im Körper eines Menschen: wer krasse und intuitiv einleuchtende Scheinerklärungen erhält für komplexe soziale Abläufe, erfährt einen Ausstoß von Dopamin und ein gutes Gefühl der Erhabenheit. Und man rutscht immer tiefer in die Abgründe wirrer Ideologien. Denn das sind diese „Theorien“ in Wirklichkeit: psychologisch raffinierte Manipulationen in Form von Mythen, Gleichnissen und Symboliken, die bestimmten politischen Ideologien den Weg bereiten sollen. Und diese wiederum haben letztlich vorrangig ein Ziel: Sündenböcke für gesellschaftliche Entwicklungen zu präsentieren, die entweder dezidiert rechten Kräften nicht gefallen oder gesamtgesellschaftliche Problemlagen darstellen. Mit „Theorien“ hat das Ganze daher auch nichts zu tun, denn eine Verifizierung oder Falsifizierung ist nicht möglich. Im Gegenteil, sind diese Konstrukte aufgrund ihrer mythischen Beschaffenheit absichtlich immun gegen jede Widerlegung oder Kritik.

Dieses Vorgehen, Sündenböcke zu erschaffen, hat eine jahrhundertelange Tradition. Denn zu allen Zeiten wurden Minderheiten verantwortlich dafür gemacht, was (a) äußere Umstände oder (b) einfach historische Abläufe hervorbrachten. Es wird entweder ein kleiner Kreis geheimer Mächte konstruiert, der die großen gesellschaftlichen Ereignisse gezielt zu ihren eigenen Gunsten plant und beeinflusst (b), oder eine Bevölkerungsminderheit als Täter hinter Unglücksfällen dargestellt (a). Beides lenkt zugleich ab von den wahren Ursachen oder Tätern und bringt ein Gefühl der zumindest kognitiv wirkenden Kontrolle über Geschehnisse, die man nicht selbst in der Hand hat. Somit ergibt sich eine Win-Win-Lose-Situation: die eigentlich Verantwortlichen bleiben unbehelligt, die besorgten Bürger:innen erhalten scheinbare Antworten oder (zumeist gewalttätige) Reaktionsoptionen und eine Minderheit muss mit Leib und Leben dafür herhalten, während die Mehrheit weiterhin hinter den tatsächlichen Mächten steht und das System stabilisiert. Oftmals fallen (a) und (b) auch zusammen, wenn Unglücke als Mittel zur Lenkung der wirtschaftlich-politischen Entscheidungen umgedeutet werden.

Eine besonders lange und tiefgreifende Tradition hat der Antisemitismus in seiner Funktion als Deutungsmuster sowohl für gesellschaftliche Entwicklungen, wie etwa Kapitalismus, Kommunismus und Liberalismus, als auch für einzelne Ereignisse, hinter denen jüdische Personen direkt als Täter oder indirekt als geheime Hintermänner behauptet werden. Ursprünglich hatte der Antisemitismus als Antijudaismus religiöse Ursprünge, da sich die christliche Mehrheitsgesellschaft nicht damit abfinden konnte, dass die Jüdinnen und Juden nicht zum Christentum konvertierten, obwohl mit letzterem sich eine neue, missionierende Religion in dezidierter Abgrenzung von ihrem eigenen Ursprung entwickelte und ihre  eschiatologische Existenzberechtigung insbesondere daraus zieht, dass alle Jüdinnen und Juden „einsichtig“ werden müssten. Sie konvertierten jedoch zu keinem Zeitpunkt der Geschichte in nennenswerter Anzahl, trotz aller Gewalt gegen die jüdischen Minderheiten.

In der Neuzeit steigerte sich der antijüdische Hass weiter und es verbanden sich Verschwörungsideologien mit Antijudaismus und Rassismus. Dass die Moderne rasante Fortschritte in Technik, Medizin, Wirtschaft und Kultur hervorbrachte, konnten sich viele Menschen nicht erklären, denn sie selbst trugen als Individuen wenig dazu bei. Es waren ja gesellschaftliche Entwicklungen. Und auch im Bereich von Militär, Politik und revolutionären Gesellschaftsmodellen gab es neue Dimensionen, die direkte Folge der Entwicklungen der Moderne waren und gravierende Schattenseiten und Fehlentwicklungen aufwiesen. Stets gab es Personen und Gruppierungen, die hinter allem, was als falsch aufgefasst wurde oder objektiv negativ war, das Judentum als treibende Kraft und Verursacher ausmachten. Zahlreiche Pogrome und letztlich die Shoa als industrielle Vernichtung eines Volkes waren das Ergebnis. Schaut man zurück, wie dies geschehen konnte, stellt man fest, dass Verschwörungsmythen die treibenden Kräfte waren. Die Neonazis stilisierten die jüdische Familie Rothschild als Verkörperung des Kapitalismus und Karl Marx mit seiner jüdischen Herkunft als Ursache für den Stalinismus. Dabei waren die größten Kapitalisten der Geschichte keine Juden, sondern Christen, und Stalin verfolgte Jüdinnen und Juden brutal und verkehrte wesentliche Marxsche Ideale in ihr Gegenteil.

Insbesondere aber der Vater aller Verschwörungsmythen war und ist der Motor des mörderischen Hasses auf das Judentum: die Protokolle der Weisen von Zion. Als nachgewiesene Fälschung nehmen sie die Phänomene der Moderne und deuten sie um als von im Geheimen agierenden Juden geplante Vorgänge. So soll der Anschein erweckt werden, der Antisemitismus hätte eine nachprüfbare Tatsache als Grundlage. Denn natürlich gibt es Fortschritt und Pluralität, Demokratie und komplexe Wirtschaftsabläufe. Nur ist die Zuschreibung all dessen als Ergebnis jüdischer Planung nichts weiter als ein perfider Trick bzw. eine politisch wirksame Ideologie, um progressive Entwicklungen mit allgemeinen Missständen und konkreten Fehlern, die leider nie ausbleiben, zu verknüpfen und der jüdischen Minderheit anlasten zu können – und nicht den eigentlich Mächtigen, die sich wiederum mit Gewinn und ohne Gesichtsverlust aus den gesellschaftlichen Konflikten heraushalten können. Die tatsächlichen Verabredungen zu Korruption und Betrug, die es jeden Tag zuhauf in Politik und Wirtschaft gibt, und die wirklichen Lösungsansätze für ganz reale Probleme bleiben hingegen allzuoft unaufgedeckt, unthematisiert.

Wenn in den derzeit kursierenden Verschwörungsvideos, Verschwörungschats und Verschwörungstexten von Rothschild die Rede ist, so ist dies in nationalsozialistischer Tradition ein Code für das Judentum und zugleich die Behauptung, die Familie Rothschild hätte unfassbar viel ökonomische Macht; wenn von den Zionisten die Rede ist, so ist dies absichtlich zweideutig als Anhänger der Idee eines Staates Israel und als reale Mächte gemäß der Protokolle gemeint; wenn von Reptiloiden oder Chemtrails die Rede ist, so steckt dahinter so gut wie immer ein antisemitisches Gleichnis oder eine uralte antisemitische Verschwörungserzählung.

Wir als PARTEI MENSCH UMWELT TIERSCHUTZ lehnen jede Form von Antisemitismus, Antiziganismus, Antifeminismus, Rassismus, Faschismus und Diskriminierung und jede Form von Verschwörungsideologie strikt ab. Zu sehr steckt in ihnen die Gefahr erneuter Genozide und Kriege. Denn am Anfang einer jeden Greueltat steht das Verbreiten von Lügen, Hass und Hetze. Die PARTEI MENSCH UMWELT TIERSCHUTZ steht aufseiten der Wissenschaften, aufseiten der Menschenrechte und aufseiten der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in ihrer sozialen und pluralistischen Ausrichtung.